Bunt ist das Dasein

Die unterschiedlichen Herangehens- und Wirkungsweisen von Farb- und Schwarzweissfotografie sind umfassender als in dieser kurzen Einführung dargestellt – der ein oder andere Blogpost mag also noch folgen. Mich interessiert natürlich schon jetzt, welche Gedanken ihr zum Thema habt; die Kommentare sind offen!

Menschen sehen die Welt in Farben. Wir belegen das Adjektiv "bunt" nicht selten mit positiven Attributen, finden Dinge "farbenfroh" und verbinden oder beeinflussen Emotionen mit den unterschiedlichen Anstrichen unserer Malkästen. Das knallige Rot, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken, das tiefe Blau des Firmaments, welches uns an andere Orte bringt, oder das satte Grün saftiger Weiden, in dem wir unseren Blick zur Ruhe kommend grasen lassen. Von Pipi Langstrumpf bis zu den Schattierungen des Regenbogens: Farben stehen für Vielfalt.

Grau hingegen hat in der Farbpsychologie nicht selten die Bedeutung gähnender Langeweile, ist Platzhalter für antiquiertes Denken, für den biederen Durchschnitt irgendwo zwischen Licht und Schatten. Die Grauen Herren als Mitarbeiter der Zeit-Sparkasse schließlich zapften den Menschen ihre Stunden, Minuten und Sekunden ab, und spätestens wenn der eigene Alltag gänzlich grau geworden ist, gilt es, etwas Farbe hineinzubringen.

Während die ersten Farbfotografien schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, fanden sie erst in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts breiteren Einsatz in überwiegend kommerziellem Umfeld, etwa der Werbe- und Modefotografie, die die neuen Ausdrucksmöglichkeiten zum Schaffen gewinnbringender Aufmerksamkeit für sich zu nutzen wussten. Nach Ende des zweiten Weltkriegs kam auch der Fotojournalismus mehr und mehr von der damals noch vorherrschenden Schwarzweissfotografie ab, doch bis die Farben auch künstlerisch als etabliert galten, sollte es noch dauern. Schon die Fotografie als solches hatte es in ihren Anfängen nicht leicht, lange galten nur Malerei und Skulpturen als gut beleumundete Vertreter der bildenden Künste, und als die Museen endlich anfingen, ein erstes Interesse zu entwickeln, wurde dieses in aller Regel nur den schwarzweissen Abbildern unserer Realität gewährt.

Jahrzehnte vergingen, bis sich das Museum of Modern Art in New York 1976 an eine Ausstellung der Werke von William Eggleston wagte, der ähnlich Robert Frank den amerikanischen Alltag so zeigen wollte, wie er ihn tatsächlich sah – ungeschönt und authentisch, nur dieses Mal eben: in Farbe. Von der Kritik in Teilen verrissen gilt dennoch genau diese Veranstaltung (neben den Werken des in den 80er-Jahren wiederentdeckten Saul Leiter) nicht wenigen als wichtiger Meilenstein der Farbfotografie auf ihrem Weg zur anerkannten Kunstform.

Eggleston’s photographs strongly resemble the color slides made by the man next door; and his show at the Modern was the most hated show of the year.
— The New York Times, 1976

Wer in Farbe fotografiert, muss mehr und anderes beachten, als es bei der Schwarzweissfotografie der Fall ist. Neben den üblichen Gestaltungselementen kommen nun Farbkontraste bzw. der bewusste Einsatz von Komplementärfarben als wichtiges Stilmittel hinzu, Hauttöne wollen realistisch abgebildet sein, und alleine ein unterschiedlich gesetzter Weißabgleich kann zu einer vollkommen anderen Bildwirkung führen, ob nun gewollt oder nicht. Gerade in der Straßenfotografie ist das der genretypischen Spontanität und Unberechenbarkeit wegen häufig eine Herausforderung, kann aber richtig gespielt neue Räume eröffnen, die sonst so nicht zu sehen wären. Jede kompositorische Unaufmerksamkeit aber driftet tatsächlich schnell ins Banale ab und sorgt für eine überfordernde Beliebigkeit, die nur selten künstlerischen Ansprüchen gerecht werden wird.

Ich empfinde das Fotografieren in Farbe aus den genannten Gründen oft als anspruchsvoller als das Arbeiten in Schwarzweiss, auch wenn beide Spielarten ihr eigenes Sehen und ihre eigenen Herausforderungen mitbringen. Im direkten Vergleich hat man einige Bälle mehr im Spiel, vor allem, wenn mit Film und festen Farbtemperaturen hantiert wird. In diesem Fall sollte man sich schon vorab Gedanken machen, ob und wie Farben ein wichtiger Bestandteil der eigenen Kompositionen sein werden – denn nur digital turnt es sich mit Netz und doppeltem Boden.

I find it strange that anyone would believe that the only thing that matters is black and white. It’s just idiotic. The history of art is the history of colour.
— Saul Leiter
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Valtari